Efferdiane Trukenbrodt

Brabaker Facetten: Efferdiane Truckenbrodt



von
Morisca Zeforica de Mysobfurten


I

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„Über alle Maßen ehrt mich der hohe Besuch. Es sei mir gestattet, Euer Gnaden und Euer Wohlgeboren im Dreckspatz’ von ganzem Herzen willkommen zu heißen.“ Der Chefkoch verbeugt sich tief. „Ich darf mich meinerseits vorstellen: maître Ocuse Tiramousso. Mir obliegt die Leitung dieses Etablissements. Ich habe den hohen Damen wunschgemäß unser sogenanntes grünes Zimmer’ reserviert. Darf ich als Apéritif einen exzellenten Jahrgangsbosporanjer anbieten?“

„Ich bin Efferdiane Truckenbrodt, Gefährtin von Wind und Wogen.“ Auf dem angebotenen Stuhl, der unter ihrem Gewicht bedenklich knarrt, nimmt die beleibte Frau freundlich lächelnd Platz.

„Morisca de Mysobfurten.“ erklärt die Autorin. „Ja, ein prickelnder Boporanjer käme an diesem schönen Abend nicht ungelegen.“

„Euer Wohlgeboren,“ die Geweihte schaut sich zufrieden um, „ich bedanke mich für Einladung. In diesem Lokal speist man ganz vortrefflich. Der maître versteht sich auf sein Geschäft. Und... ist Euch das Besteck aufgefallen?“

„Ich bin beeindruckt.“ erklärt die Autorin beifällig nickend: In der Tat hat die Mannschaft des „Dreckspatz“ zu Ehren der hohen Gäste erheblichen Aufwand betrieben: Man könnte meinen, in einem der ersten Häuser des Lieblichen Feldes zu tafeln: Das Besteck umfaßt nämlich nicht nur Löffel und Messer aus getriebenem Silber, sondern – raffinierten Luxus auf die Spitze treibend! – ungewöhnliche Instrumente, die bei flüchtiger Betrachtung als kleine Ausgaben eines EFFerd- gefälligen Dreizacks imponieren, bei genauer Inspektion jedoch nicht drei, sondern vier Zinken aufweisen. „Ich meine mich zu erinnern, daß die Liebfelder diese, mm... Dinger forchetta’ nennen.“ überlegt die Autorin. „Eine brabaccische Bezeichnung existiert bislang wohl nicht.“ Man trinkt aus schillernden, nahezu durchsichtigen Gläsern und speist von Tellern aus cremefarbenem güldenländischem Porzellan. Aus demselben feinen Material bestehen auch die links neben den Tellern platzierten Schälchen, die der Säuberung der vom Essen beschmutzten Fingerspitzen dienen. Der Reinigung der Lippen dienen Mundtücher aus Brokatstoff. „Das Geschirr übertrifft meine Erwartungen bei weitem.“ gesteht die Autorin. „Aber auch mit unserem Tisch bin ich sehr zufrieden. Maître Tiramousso hat uns gut platziert, abseits der übrigen Gäste. Hier in unserem grünen Zimmer bleiben wir ungestört.“

In der Tat, obwohl gut und gerne vier bis fünf Tische unterzubringen wären, steht der Raum den beiden Damen ausschließlich zur Verfügung. Er öffnet sich nach zwei Seiten: Ein hohes Fenster gibt ins Freie, eine Doppeltüre zum großen Speisesaal. Durch das Fenster dringt eine Fülle aromatischer Düfte, die einem mit Gewürzpflanzen bestückten Gärtchen entstammen dürften. Jenseits einer Reihe von Bananenstauden sieht man Abschnitte des brabaker Hafens, von dem dann und wann eine frische Brise hochweht. Da die Türe, die zum großen Speisesaal führt, geöffnet bleibt, ist für ein Mindestmaß an Durchzug und Abkühlung gesorgt – dringend erforderlich in Anbetracht der Tatsache, daß auch nach Untergang des Praiosauge schweißtreibende Schwüle herrscht.

Für Beleuchtung sorgen eine Fülle von Kerzen, in Kandelabern auf dem Tisch sowie an den Wänden platziert. Die Wärme, die die Flammen erzeugen, nimmt man in Kauf - der Gast will sehen, was auf den Teller kommt, das Auge speist bekanntlich mit. Gesprächsfetzen der im großen Speisesaal untergebrachten Gäste dringen als leises Gemurmel ins „grüne Zimmer“ und da an die Ohren der beiden hohen Damen. Vom Hafen herauf klingen gedämpft die Geräusche der Stadt... Besser kann man nicht sitzen, um eine ebenso opulente wie exquisite Mahlzeit zu genießen. Von daher steht einer langen und eingehenden Unterhaltung nichts im Wege.

„Hier im Dreckspatz’ versteht man etwas von EFFerd- koscherer Küche.“ weiß Efferdiane zu berichten. „In erster Linie aber freue ich mich natürlich über die Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch unter vier Augen... und darüber, daß wir uns endlich besser kennenlernen. Einige Eurer Bücher habe ich mit Vergnügen gelesen, Wohlgeboren.“

„Euer Gnaden, die Freude ist ganz meinerseits.“ erntgegnet die Autorin. Man stößt an. „Auf einen TSA- gefälligen Neuanfang.“

„Der Launische möge Euch gewogen sein.“ wünscht die Geweihte und fährt fort, locker fachsimpelnd: „Ausgezeichnet, der Bosporanjer. Ich mag diese zarte Brombeer- Note.“ Auf ihren Wink hin springt der ältere der beiden Jungen, die bereit stehen, die hohen Gäste zu bedienen, eilfertig herbei und schenkt nach. „1021er Jahrgang vermutlich.“ Die Autorin beobachtet Efferdiane aufmerksam. Ungeachet der massigen Silhouette sind die Züge des Antlitzes zart und fein, ja: vornehm geschnitten. Beidseits werden die rehbraunen Haare mittels Perlmutt- Spangen von den Ohren weggehalten, fallen aber in sanft ondulierten Locken weit in die Stirn. Hellwach und aufmerksam blicken die meeresfarbenen Augen umher. Die schlanken Hände wirken äußerst gepflegt.

Vom Hörensagen her weiß die Autorin ein wenig Bescheid über die Gesprächspartnerin, der es umgekehrt ähnlich gehen dürfte. Beide Damen sind ja in der Hauptstadt keine Unbekannten... Die legendäre Verfressenheit der Geweihten bietet Stoff für allerlei spaßige Anekdoten, die in Brabak die Runde machen und die Kirchenleitung, die den Klerus zu asketischer Lebensweise anzuleiten trachtet, von einer Verlegenheit in die andere stürzt. Die einfachen Gläubigen hingegen haben die volkstümliche Efferdiane fest ins Herz geschlossen und sind bereit, ihr alle Schwächen verzeihen: Wenn sie auch EFFerd- gefällig aufbrausend und gelegentlich schrill daherkommt, so weiß man doch um das fromme Wesen und das gute Herz der Geweihten, die – wenig nachtragend - auch nach heftigem Streit schnell verzeiht und leicht zu versöhnen ist. Daß sie sich aufs Predigen versteht, kann die Autorin aus eigener Anschauung bestätigen: Vor einem halben Jahr etwa, bei der Einweihungsfeier der „Heimstatt“ , hat eine emotionsgeladene Ansprache die Gemeinde förmlich von den Stühlen gerissen. Nach kurzem Zwiegespräch ist die Autorin damals zum Schluß gekommen, der beleibten Geweihten ein Kapitel des Buches „brabaker Facetten“ zu widmen und hat sogleich den Termin am heutigen Tage vereinbart... in einer renommierten Speisegaststätte, dem „Dreckspatz“ . Die Autorin hofft, daß das aufwändige Menu - in Zusammenarbeit mit dem maître sorgfältig geplant - die nicht nur als phänomenalen Vielfraß, sondern auch als notorische Feinschmeckerin bekannte Efferdiane in Erzähllaune versetzen wird.

Vom Bosporanjer nippt die Autorin lediglich. Für sie handelt es sich um ein Arbeitsessen. Bei einem solchen empfiehlt sich Zurückhaltung - denn zu allerletzt geht es um leiblichen Genuß, in erster Linie darum, ein literarischen Kriterien genügendes Resultat zu erzielen. Ein Zuviel an Speis und Trank kann eine Trübung der Wahrnehmung bewirken und zur Beeinträchtigung der Denkvorgänge führen... Efferdiane wird berichten. Die Autorin wird lauschen - aber nicht nur einfach mit offenem Mund und staunend wie ein Kind; vielmehr wird sie registrieren, analysieren, memorieren und bei Bedarf Rückfragen stellen sowie um Kärung von Zusammenhängen bitten... Es heißt also, auf dem qui- vive sein und sich kein Detail entgehen zu lassen.

Wie beschreibt man eine Geweihte auf abwechslungsreiche und doch respektvolle Art? Über diese Frage hat sich die Autorin seit Monden bereits den Kopf zerbrochen. Im Falle der Efferdiane Truckenbrodt drängt sich ja der Aspekt des Körperumfangs quasi von selbst auf: ein Unterhaltungswert per se... zugleich aber auch so etwas wie ein unanständiges Angebot - zum literarischen Schnellschuß nämlich: Wer Hirnschmalz sparen will und mühsame Formulierungsarbeit scheut, der reduziert flugs die Geweihte auf ihr enormes Gewicht und gibt sie in grotesker Verzerrung der Lächerlichkeit preis. Eine Karikatur wäre in der Tat leicht und schnell geschrieben... würde jedoch der Person der Efferdiane Truckenbrodt in keiner Weise gerecht. In der Tat ist die Priesterin alles andere als eine Witzfigur. Hinter der massigen Silhouette bleibt so manch beachtliche Eigenschaft verborgen und entgeht der Öffentlichkeit... Beispiel gefällig? Nun, es dürfte Euch kaum entgangen sein, hoch geschätzte Leserin, geneigter Leser, daß Efferdiane für ihr Leben gerne ißt. Wußtet Ihr aber auch, daß sie ein - dem allgemeinen Publikum wenig bekanntes, dafür aber in Fachkreisen umso überschwänglicher gelobtes - kulinarisches Standardwerk veröffentlicht hat: „EFFerd- koschere Küche: fortgeschrittene Erhitzungs- und Gartechniken; Rezepte- Sammlung“ ? ... Eine plakative Charakterisierung der Geweihten ist offenkundig fehl am Platze, ja, als literarischer Kunstfehler zu werten, bieten sich doch jenseits des Offensichtlichen und zu Erwartenden in reichem Maße fruchtbare Aspekte, die eine eingehende Erörterung rechtfertigen und verdienen. Das farbige Bild einer höchst ungewöhnlichen Brabakerin schwebt der Autorin vor: Als Hintergrund und Rahmen eignet sich (das haben Vorstudien ergeben) die Erzählung von einer nächtlichen Schiffsreise nach Nardis.

Maître Tiramousso läßt die hors d’oeuvres hereinbringen: Variation von fangfrischen Austern und Abalonen auf knackigem Dasselblätter- Salat. „Ich präsentiere den hohen Damen ein göttergefälliges, zwölf Gänge umfassendes Menu. Es steht unter dem Motto brabaker Spezialitäten zu Wasser und zu Lande’ , thematisiert das typische Zusammenspiel von Meer und Dschungel, die Dialektik der fruchtbaren Erde und des feuchten Elementes und glorifiziert damit die Segnungen EFFerds und PERaines.“ Über den ersten Gang macht sich Efferdiane unverzüglich und mit gesundem Appetit her.

„Gesunder Appetit ist eine wüste Untertreibung.“ überlegt die Autorin belustigt. „Der Begriff Heißhunger trifft den Sachverhalt. TRAvia sei Dank habe ich zwölf Gänge geordert.“

„Na ja, da sagte ich eben mein Sprüchlein auf: Efferdiane Truckenbrodt, Gefährtin von Wind und Wogen... unterwegs im Auftrag der heiligen Kirche der Launischen Gottheit. Und das sind Agismondo Ferussi und Ferianda Menarou, vom EFFerd- gefälligen Orden der Delphinritter.’ Mühelos schafft es die beleibte Geweihte, aus vollen Backen zu kauen und gleichzeitig zu erzählen. Die Autorin, deren Gedanken ein wenig abgeschweift sind, stellt angenehm überrascht fest, daß der Bericht schon begonnen hat... Die meisten Befragten verhalten sich zögerlich, drucksen zunächst herum und lassen sich mehrfach bitten, bevor sie endlich in medias res gehen. Efferdiane dagegen ziert sich kein bißchen - im Gegenteil: Sie ist schon eifrig dabei, den Kapitän zu charakterisieren:


II

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„Kapitän Entore Prisobimo wird ob seiner Erfahrung weithin geachtet. Wir von der EFFerd- Kirche erteilen ihm gern Aufträge, die ein gewisses Fingerspitzengefühl erfordern und stellen ihm zu diesem Zweck üblicherweise den kircheneigenen Dreimaster „Adaque IV“ zur Verfügung – so auch für jene Reise nach Nardis. Natürlich war der Kapitän vorab über das Eintreffen unserer Delegation unterrichtet worden und erwartete mich und meine beiden Ritter im Hafen an Deck des Schiffes. Obwohl er mich von Geburt an kennt, besteht er bei offiziellen Anlässen auf einer förmlichen Begrüßung: Es ist mir eine große Ehre, Euer Gnaden... oder so ähnlich.’ Er ist wirklich süß. Na ja, und da er mich kennt, hat er gleich angefügt, daß in der Kajüte ein kleiner Imbiß...“

Efferdiane unterbricht sich, denn der nächste Gang wird aufgetragen: „Klassische brabaker Schildkrötensuppe,“ verkündet der maître mit verhaltenem Stolz, „ungewöhnlich nur insofern, als daß für die Erwärmung nicht offenes Feuer, sondern glühender Stein Verwendung gefunden hat - den strengen Regeln der EFFerd- koscheren Küche folgend, so wie Euer Gnaden sie in Eurem Werk beschreiben.“

„Er hat die fortgeschrittenen Gartechniken’ gelesen.“ flüstert Efferdiane geschmeichelt und errötet, während sie der Suppe, die von einem lieblich- würzigen arivorer Weißwein begleitet wird, mit Lust zuspricht.

„Euer Gnaden,“ die Autorin meidet den Wein und beschränkt sich darauf, einige Happen vom Schildkrötenfleisch zu kosten, „erweist mir doch die Freundlichkeit, Euer Verhältnis zu Kapitän Priosbimo näher zu charakterisieren.“

„Verhältnis?“ Die Geweihte stutzt. „Achso. Entore... ein, mm, väterliches Verhältnis, würde ich sagen.... oder besser. großväterlich, er ist schließlich nicht mehr der jüngste. Ihr wißt vielleicht, daß ich Halbwaise bin? Meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt, er diente auf einem Kriegsschiff und ist im Krieg gegen Al’ Anfa gefallen. Entore - ein Freund meines Vaters hat unsere Familie stets nach Kräften unterstützt... auch finanziell. Und mir das Fischen beigebracht. Schwimmen lernte ich übrigens von allein, nur mit Hilfe der Gottheit...“

„Der Kapitän lehrte Euch also die Liebe zum Meer?“

„Ja, und er tröstete mich, wenn ich als Kind unter Spott zu leiden hatte. Ihr könnt Euch ja gar nicht vorstellen, Wohlgeboren,“ ereifert sich die Erzählerin, „was die unverschämten Gören aus der Nachbarschaft mir beim Schwimmen nachriefen? Da ist eine Robbe – nein, ein Wal – nein, das ist Efferdiane Truckenbrodt!’“ Eine Robbe... ein Wal... Efferdiane Truckenbrodt... Kindermund spricht die Wahrheit, heißt es - und zwar ungeschminkt und rücksichtslos. Eine Robbe.. ein Wal.. Efferdiane Truckenbrodt... Der Autorin unterdrückt ein Schmunzeln. Was dieses Thema anbelangt, so steht zu befürchten, daß die Erzählerin einigermaßen empfindlich reagiert. Da gilt es, tapfer auf die Lippen zu beißen und unter allen Umständen eine ernste Miene zur Schau zu stellen.

„Nach Vorfällen dieser Art rannte ich heulend nach Hause“ , fährt die Geweihte fort, „und meine Mutter besänftigte mich mit einer besonders großen Portion warmer Kakaocreme. Die Kakaocreme meiner Mutter ist unvergleichlich, ein altes Rezept der Uroma, heißt es... Nun, jedenfalls: Als Heranwachsende bin ich dann zum ersten Mal zur See gefahren – mit Entore und Entore war es schließlich auch, dem mein, nun, innigliches Verhältnis zum Meer aufgefallen ist und der mir riet, der Kirche des Launischen beizutreten... Ja, und um auf die Geschichte zurückzukommen...“ Selbstständig findet die Erzählerin zum Thema zurück. So etwas geschieht selten. „Weil er – Entore – mich eben von Kindesbeinen an kennt und natürlich weiß, was ich gerne esse, hat er am Abend der Abfahrt nach Nardis an Bord der Adaque IV’ einen kleinen Imbiß vorbereiten lassen.“

„Einen kleinen Imbiß?“ Einen milde- spöttischen Unterton vermag sich die Autorin beim besten Willen nicht verkneifen.


III

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„Na ja...“ Efferdiane lächelt ebenso verschämt wie entwaffnend, „... so wie das hier in etwa.“

„Mm, ja, verstehe.“ murmelt die Autorin, von Gewissensbissen heimgesucht. Sie gelobt, von nun an die Zunge im Zaume zu halten und die liebenswerte - und in manchen Beziehungen überraschend wehrlose - Geweihte nicht mit weiteren Anzüglichkeiten zu traktieren.

Maître Ocuse Tiramousso kündet den dritten Gang an: „Gebratene Termiten in einer scharfen Sauce, die ich nach einem Rezept meiner Großtante mütterlicherseits aus vergorenen Meeresfrüchten herstelle. Dazu empfehle ich doppelt gebrannten Anisschnaps.“

„Beim Launischen, was für ein berückender Duft!“ Die Geweihte erweist sich als echte Kennerin... und spricht als solche gleich fürsorglich eine Warnung aus. „Vorsicht, Wohlgeboren.“ Gut gemeint, indes zu spät: Obwohl ihr die niederhöllisch gen Alveran stinkende Sauce schier den Atem verschlägt, hat die Autorin höflichkeitshalber nicht nur einen kleinen Löffel Termiten mit eben dieser Dämonentinktur beträufelt, sondern auch mit Todesverachtung geschluckt. Feurio! Jetzt ist guter Rat teuer, denn schlagartig steht die Mundhöhle in Flammen und eine Art hyailer Feuer ätzt sich den Weg durch die Speiseröhre in den Magen: Obwohl die Autorin um die Regeln des guten Benimms im allgemeinen sowie im besonderen um die Tatsache weiß, daß das Wasserschälchen neben dem Teller ausschließlich für die Reinigung der Fingerspitzen vorgesehen ist, hat sie selbiges ergriffen und – Not kennt kein Gebot! - in einem Zuge geleert, bevor sie den faux- pas überhaupt verhindern kann... „Nie wieder gebratene Termiten in scharfer Sauce!“ gelobt die Autorin. Immerhin stellt sie der dritte Gang vor keinerlei Probleme, was das Durchalten der selbst auferlegten Askese anbelangt.

„Es hat mir fast das Herzen gebrochen.“ Wohlerzogen ignoriert Efferdiane das Mißgeschick der Gesprächspartnerin und nimmt den Faden der Erzählung wieder auf. „Aber was sollte ich tun? Ich mußte das Festmahl ablehnen. Entores enttäuschtes Gesicht sehe ich bis heute vor mir. Meine liturgischen Pflichten ließen es zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zu, den Sachverhalt zu erklären. Dabei hatte der Gute weder Geld noch Mühe gespart! Es handelte sich nämlich – Ihr ahnt es gewiß – keineswegs um einen bescheidenen Imbiß, wie ich vorhin zu suggerieren versuchte, sondern um ein umfassendes Menu, mit viel Liebe extra für mich zusammengestellt.... und ich verweigerte! Entore sagte kein Wort, aber ich wußte, daß er nicht nur enttäuscht, sondern auch baß erstaunt war... und vollends ins Grübeln geriet, als ich hinzufügte: Ich beabsichtige, während der gesamten Fahrt zu fasten und werde lediglich reines Wasser zu mir nehmen. Wenn Ihr mir, mein guter Entore, gütigerweise einen für die Meditation geeigneten Platz zuweisen könntet...’ Alle schauten mich ganz komisch an und ich schaute auch ganz komisch, als das Festmahl an meiner Nase vorbei aus der Kapitänskajüte weggeschafft wurde.

Ich bezog umgehend Quartier und verriegelte die Türe. Begleitet vom aufdringlichen Gekreische der Möven sowie im Schein der untergehenden Abendsonne verließ die Adaque IV’ den Hafen. Agismondo Ferussi und Ferianda Menarou, die beiden Delphinritter, waren von mir vor dem Kajüteneingang postiert worden, mit der schlichten Order: Kein Zutritt für niemand.’


IV

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„Und wie kam es zu diesem, mm, weitreichenden Entschluß?“ hakte Morisca nach.

„Nach Nardis zu fahren? Na, ich erhielt den Auftrag aufs Auge gedrückt. Da bedurfte es keinerlei Entschlusses meinerseits.“

„Mit Verlaub, Eurer Gnaden, ich spreche von dem Entschluß, zu fasten - während der gesamten Überfahrt.“

Efferdiane seufzt gequält, doch im selben Augenblick hellt sich die Miene auf, denn Nachschub naht. „Als vierten Gang präsentiere ich einen Auflauf aus wilden Iltok- Knollen und Pirañafleisch,“ erklärt der maître, „gewürzt mit geriebener Muskatnuß. Zwar steht das Menu unter dem Motto brabaker Spezialiäten zu Wasser und zu Lande’ und man könnte zu Recht die Frage stellen, was die Iltok- Knolle dabei zu suchen hat. Nun will ich mich keineswegs zur Behauptung versteigen, daß die Iltok- Knolle – zuweilen auch Erdapfel genannt - aus einheimischen Gefilden stammt; doch vertrete ich die Meinung, daß es sich um eine Nutzpflanze par excellence handelt und ihr als solcher ein Ehrenplatz auf den Speisekarten nicht nur des Südmeeres, des Bornlandes oder Brabaks, sondern in jeder Region ganz Aventuriens gebührt. Ich sage diesem PERaine- gefälligen Wurzelknollen- Gewächs eine große Zukunft voraus: Es gedeiht bei unterschiedlichsten klimatischen Bedingungen , ist eminent nahrhaft und – ausschlaggebend für die Aufnahme ins unser zwölfgott- gefälliges Menu am heutigen Abend – in vielerlei, ausnahmslos außerordentlich wohlschmeckenden Variationen zuzubereiten.“

Ein versonnenes Lächeln erhellt das Gesicht der Geweihten. „Bin ich froh, daß ich heute nicht zu fasten gezwungen bin... Wie ich damals zu diesem Entschluß kam? Nun, das ist eine recht langwierige und umständliche Geschichte... Ich weiß nicht, ob die hierher gehört...“

„Die Leser werden es unbedingt wissen wollen, Euer Gnaden.“

„Der Entschluß zu fasten...“ Die Geweihte häuft einen Berg Auflauf auf den Teller. „Eure bemerkenswert schlanke Taille ziert Euch, Wohlgeboren... aber ein paar Bissen werdet Ihr wohl dennoch zu Euch nehmen? ... um mir Gesellschaft zu leisten?“ Belustigt, wenn auch widerstrebend erklärt die Autorin nickend ihr Einverständnis und wird sogleich aufs Großzügigste bedacht. Ohne weitere Rückfragen läßt Efferdiane beide Becher mit lauwarmem Reiswein aus der Karaffe auffüllen. „Keine falsche Zurückhaltung.“ fordert sie den bedienenden Jungen auf. „Schenk ein bis zum Rand – ja, so ist es gut...

Der Entschluß,“ erklärt sie, nun wieder an die Autorin gewandt, „der fiel mir wahrlich nicht leicht, wie Ihr Euch denken könnt, Wohlgeboren. Aber er hing zusammen mit düsteren Vorahnungen, zu denen wiederum die Mission, die mir aufgetragen worden war, reichlich Anlaß gab... Alles fing an, als ich eines Morgens, nichts Böses ahnend, bei der zweiten Zwischenmahlzeit in unserem brabaker Haupthaus saß und unversehens mitgeteilt bekam, daß die Al... , mm, die Stellvertreterin mich zu sprechen wünsche.“

„Gnaden Amanda Jolanda Geraucis, Stellvertreterin des Bewahrers der Brandung Südmeer?“

„Gefährtin von Wind und Wogen - die nämliche.“ Efferdiane verzieht das Gesicht. „Ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich auf diese Nachricht hin freudig errregt aufsprang. Zum einen hasse ich es, bei einer Mahlzeit unterbrochen zu werden... und zum anderen pflegt die Stellvertreterin mich immer dann und nur dann zu rufen, wenn sie jemand braucht, an dem sie ihre schlechte Laune... Ich meine: wenn sie mir einen guten Rat erteilen will... vorwiegend was Gewichts- und Diätfragen angeht.

Die Stellvertreterin residiert im höchsten Stockwerk. Dorthin begab ich mich also - mit einem flauen Gefühl im Magen - so, als sei mir ein oder zwei Stunden lang die Nahrung vorenthalten worden. Vor der Höhle des Löwen hielt ich kurz inne und versuchte mich zu sammeln – vergeblich. Mit zitternden Finger betätigte ich den Türklopfer (der übrigens die Form eines Seepferdchens aufweist... aber das nur nebenbei) . Eine freundliche – nein, das stimmt nicht: eine zuckersüße Stimme – forderte mich auf einzutreten. Wie schön, daß Ihr meiner Bitte sogleich entsprechen konntet.’ Die Stellvertreterin hatte sich tatsächlich um meinetwillen erhoben und kam mir entgegen. Nehmt doch Platz, liebste Schwester.’

Da geht was nicht mit rechten Dingen zu.’ dachte ich bei mir. Wart’s ab, das dicke Ende folgt noch: Eine Hungerkur, fettarm auf der Basis roher Algen vielleicht.’

Schwester,’ flötete die Stellvertreterin, mit Fug und Recht kann man behaupten, daß Ihr bei der ganzen brabaker Gemeinde als ebenso kompetente wie charakterfeste Geweihte bekannt seid und die Gottheit stets mit Anstand und Würde vertreten habt.’ Diese honigklebrigen Worte waren keineswegs dazu angetan, mein Mißtrauen zu zerstreuen. Daher hege ich keinerlei Zweifel daran, daß Euch - und nur Euch - die Ehre gebührt, nunmehr in meinem Auftrag nach Nardis zu reisen und Euch dort um die heilige Kirche des Launischen ein weiteres Mal verdient zu machen.’

Nardis? Das Kaff kannte ich lediglich vom Hörensagen – die Küche soll da ziemlich... na, sagen wir: archaisch sein... Vague Erklärungen folgten. An Informationsgehalt ließen es die Floskeln, die die Stellvertreterin mit einem schiefen Grinsen zum besten gab, in beunruhigendem Maße fehlen. Über die Natur meines Auftrages brachte ich nichts in Erfahrung. Konkret wurde mir lediglich mitgeteilt, daß ich die Reise in fünf Tagen anzutreten hätte. Man beabsichtige, die Sicherheit meiner Person dem bewährten Kapitän Prisobimo anzuvertrauen... immerhin eine erfreuliche Nachricht. Trotzdem verließ ich einigermaßen besorgt das Arbeitszimmer der Stellvertreterin, begab mich zum Hafen und suchte dort schnurstracks den guten Entore auf. Bedauerlicherweise war der über die Aufgabe, die er übernehmen sollte, noch nicht in Kenntnis gesetzt und sah sich daher außerstande, mich mit irgendwelchen Interna zu versorgen...


V

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Die nächsten Stunden grübelte ich, zutiefst verunsichert, unentwegt über die Eigenart der bevorstehenden Mission, ohne daß ich, auf mich allein gestellt, auch nur einen Schritt weitergekommen wäre. Ich verzweifelte an Alveran und Dere, fürchtete gar um mein Leben und sehnte mich danach, die Angelegenheit mit einem mir wohl gewogenen Menschen zu erörtern. Schließlich – das Praiosauge neigte sich bereits dem efferdwärtigen Horizont zu - tat ich, was ich in einer aussichtslosen Lage immer tue: Ich beschloß, Schwester Jesabel aufzusuchen und mich ihr anzuvertrauen.“

„Schwester Jesabel?“ unterbricht die Autorin. „Hochwürden Jesabel de Sylphur- Narrano? Die Schwester des conde von Sijak, die diesem, mm... Salzquellen- Kloster in Bad Elida vorsteht?“

„Sie leitet das Kloster der Heiligen Elida von Salza, ja: Es liegt an einer berühmten Mineralquelle... Am Abend des nämlichen Tages noch ergatterte ich einen Platz in einer Schnellkutsche, die gerade im Begriff stand, nach Narranoia aufzubrechen. (Bad Elida befindet sich unweit von Narranoia.) Zwar war mir Verschwiegenheit dringend angeraten worden... Indes - Gehorsam gegenüber der Obrigkeit in Ehren – einer Bewahrerin von Wind und Wogen werde ich doch wohl noch mein Herz ausschütten dürfen? Hals über Kopf brach ich also auf, flüchtete gewissermaßen bei Nacht und Nebel... wie eine Intrigantin, der der Boden in der Hauptstadt zu heiß wird.“

„Wie stellte sich die Stellvertreterin zu Eurer, mm, überstürzten Abreise?“

Efferdiane zuckt mit den Schultern. „Glücklich wird sie nicht gerade... Aber seht doch nur, Wohlgeboren: der fünfte Gang.“

In der Tat, wie ein Feldherr seine Truppen zum Triumphzug antreten läßt, so führt der Chefkoch ein halbes Dutzend Köchinnen und Köche, Küchenmädchen und – jungen durch den Speisesaal ins grüne Zimmer’ . „Wenn die hohen Damen gestatten...“ Der maître tritt mit einer Verbeugung vor. „Duo von gegrilltem Rebhuhn in Pfeffersauce auf Wildreisbett und Riementier- Zwischenrippenstück an Shatakwurzelmus - eine weitere Spezialität des Hauses, die wir jedoch wegen des erheblichen Arbeitsaufwandes nur zu besonderen Gelegenheiten kochen...“ Mit triumphierendem Lächeln verweist er auf die silbernen Platten, die von je zwei Bediensteten durch den großen Speisesaal ins Séparé getragen werden... mit einem Pomp, als handele es sich um Monstranzen bei einer RAHja- Prozession. Bezaubernde Düfte verführen einige Gäste dazu, die Köpfe zu verdrehen. Andere stehen gar von den Sitzen auf, um einen Blick auf den legendären Hauptgang zu erhaschen. Vernehmlich knurrt der Magen der Autorin, die beschließt, die bislang an den Tag gelegte Zurückhaltung zwar nicht vollständig, aber doch ein Stück weit aufzugeben und sich zumindest ein Häppchen des saftigen Riementiers zu Gemüte zu führen.

„Holterdipolter ging es also durch die Nacht nach Narranoia. Und holtidipolter, Wohlgeboren, das mögt Ihr durchaus im wortwörtlichen Sinne verstehen. Ich weiß nicht, inwieweit Ihr mit unseren berüchtigen brabaker Wegen vertraut seid? Jedenfalls wurde ich nach Kräften durchgeschüttelt. Pausen legte der Kutscher keine ein. Ans Schlafen war nicht einmal im Traume zu denken, sozusagen. Mitgenommen hatte ich lediglich ein wenig Dörrfleisch und etwas Reis. Die Vorräte hielten natürlich nicht lange vor und so schob ich noch vor Mitternacht mächtig Kohldampf. Übernächtigt, zerschlagen und vor allem sehr hungrig erreichte ich mein Ziel im Laufe des nächsten Vormittags... Doch in reichlichem Maße entschädigte mich für die Anstrengungen der Reise der überaus herzliche Empfang, den mir Schwester Jesabel bereitete. Frühstück stand bereit und eine ganze Schüssel voller warmer Kakaocreme. Ich fühlte mich, als sei ich nach Hause zurückgekehrt.“

„Hochwürden war über Eure bevorstehende Ankunft informiert?“

„Ich hatte einen berittenen Boten vorausgeschickt, ja... Ich sehe, Wohlgeboren, dem Riementier ist es gelungen, Euren Widerstand zu überwinden. Sehr zart und saftig, das Zwischenrippenstück - exakt zum Punkt gegart.“ Die Autorin, wenig glücklich darüber, daß der von ihr an den Tag gelegte Mangel an Selbstbeherrschung auch noch Anlaß zu einem Kommentar gibt, schluckt eine spitze Bemerkung und antwortet brummend Unverbindliches. Die Geweihte fährt fort: „Noch während des Essens begann ich zu erzählen. Schwester Jesabel mußte allerdings mehrfach nachhaken, denn ich war ziemlich aufgewühlt und ich fürchte, mein Bericht fiel recht konfus aus. Em Ende, ich gestehe das nur ungern, vergoß ich sogar heiße Tränen.

Mädchen, Mädchen...’Schwester Jesabel zeigte sich überaus geduldig und liebevoll und es gelang ihr, mich nach und nach zu besänftigen. Was sorgst Du Dich?’ Wie einem Kind strich sie mir tröstend übers Haar. Du weißt doch um die goldene Regel: Vertraue Dein Schicksal der Gottheit an, dann wird sie Deine Schritte treulich lenken.’ Sie beließ es indes nicht bei Zuwendung und frommem Hinweis. Vielmehr machte die Bewahrerin von Wind und Wogen unverzüglich und mit Nachdruck ihren Einfluß geltend und brachte endlich etwas über die bevorstehende Mission in Erfahrung: In Nardis trieben Untote ihr Unwesen, hieß es - angeblich auch Geisterschiffe... Manche wollten gar eine Dämonenarche gesichtet haben. Diesen widernatürlichen Manifestationen auf den Grund zu gehen und gegebenfalls selbige zu bekämpfen, war die EFFerd- Kirche von der dortigen Lehnsherrschaft gebeten worden. „Hier hast Du’s schwarz auf weiß.“ Schwester Jesabel übergab mir eine Liste von Stichworten – Daten, Orte, die Namen von Zeugen etc. Na, diese Neuigkeiten trugen natürlich wenig dazu, meine Befürchtungen zu mildern. Immerhin,’ erklärte Schwester Jesabel nüchtern, Deine diffuse Angst ist nun faßbar. Gegen unbestimmte Sorgen läßt sich kaum etwas unternehmen, gegen eine konkrete Bedrohung hingegen sehr wohl.’

Schwester Jesabel setzte durch, daß mir für die Mission zwei Ritter des Delphinordens zur Seite gestellt... und die Reisekosten im voraus erstattet wurden. Allerdings... unerfüllt blieb eine Hoffnung, die ich gehegt hatte - vor mir selbst uneingestanden, in einem verborgenen Winkel meines Bewußtseins: Keinerlei Anstalten traf Schwester Jesabel, mir den gefährlichen Auftrag abzunehmen und stärkeren Schultern aufzubürden. Gerade wie die Stellvertreterin schien auch sie im Innersten davon überzeugt, daß es mir – und nur mir – oblag, die gefährliche Reise anzutreten. Wieso bloß? Hatte sich der Kirchenleitung des Launischen Wille auf geheimnisvolle Weise offenbart? Oder war man lediglich übereingekommen, meine Fähigkeiten einer ernsthaften Belastungsprobe zu unterwerfen? Du bist eine gute und fromme, eine außergewöhnliche Geweihte, Efferdiane.’ bekam ich zu hören. Im allgemeinen bin ich für eine schmeichelhafte Einschätzung meiner Person ebenso empfänglich wie die meisten Menschen, unter den gegebenen Umständen behagte mir die Lobhudelei jedoch ganz und gar nicht – besonders weil ich eingestehen mußte, daß die Stellvertreterin sich ähnlich geäußert hatte. Verlaß Dich auf die Gottheit und Deine Kräfte, die in Dir schlummern... und bislang noch gar nicht richtig beansprucht worden sind.’ Nun, die folgenden Ereignisse sollten ja klar zeigen, wie sehr man sich in der Einschätzung meiner Frömmigkeit getäuscht hatte.

Schwester Jesabels Rat barg nicht nur eine seelsorgerische, sondern auch – geschickt eingeflochten - eine psychologische Komponente... und ließ eine Entscheidung in mir reifen. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, überlegte ich. Per aspera ad astra , pflegen die Bosporaner zu formulieren und auch im vorliegenden Falle haben die Götter Mühe und Unannehmlichkeit vor den Erfolg gesetzt. Ich wollte die Zeit der Überfahrt nutzen und beim Launischen Erleuchtung unmittelbar suchen... eine Visionsqueste, wenn Ihr so wollt. Die Entrückung beschloß ich, mit Hilfe einer dreitägigen Nahrungskarenz vorzubereiten - ein probates Mittel, das mir persönlich allerdings wenig behagt. Aber was half’s, es mußte eben sein: Drei Tage lang verzichtete ich konsequent nicht nur auf sämtliche Haupt-, sondern auch auf alle Zwischenmahlzeiten und nahm nichts als EFFerds reines Wasser zu mir.“

„Fasten! Drei Tage lang!“ Obwohl sie um die Ungehörigkeit ihres Benehmens wohl wußte, konnte die Autorin in diesem Augenblick beim besten Willen nicht anders, als die Erzählerin mit offenem Munde anzustarren.

„Ja, und am Abend des dritten Tages fuhr ich dann nach Nardis. Während die Adaque IV’ die Bucht von Brabak hinter sich ließ, nahm ich in der Kapitänskajüte am Schreibtisch Platz, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und den Kopf in die Hände. Ich versuchte meine Seele aller Sorgen zu entledigen und ließ zu diesem Zweck den Blick über das Meer wandern. Der Duft der von den Matrosen in aller Eile beiseite geschafften Abendmahlzeit lag noch in der Luft. Verführerisch! Ein kleiner Bissen von... Aber nicht doch! Unter den gegebenen Umständen hieß es hart bleiben, Disziplin bewahren, sich der Gottheit als würdig erweisen.

Auf offener See herrschte lebhafter Wellengang, der der Besatzung einiges an Geschick abverlangt haben dürfte. Allerdings wehte aus Efferd- Praios eine steife Brise und gewährleistete zügiges Vorankommen: Voraussichtlich bei Morgengrauen würde man Nardis erreichen, hatte Entore erklärt. Mit einem Unwetter sei nicht zu rechnen. Das rasch sinkende Praiosauge tauchte die Wolkenbank am Horizont in versöhnlichen Schein. Gischt spritzte ab und an durch das offene Bullauge und besprühte sanft mein Gesicht. Mit der Zungenspitze ertastete ich salzige Tropfen und schloß die Augen. Ein lang vermißtes Gefühl von Geborgenheit und Ruhe überkam mich... und unvermutet auch ein Anflug von Übelkeit in der Magengrube... oder, besser gesagt: eine Art flattriger Leichtigkeit. Kein Wunder, wenn man tagelang nichts zu beißen bekommt.’ dachte ich zunächst, dann aber fiel mir ein, daß - den Dozenten des Priesterseminars zufolge - ein plümerantes Gefühl im Bauch die Einleitung einer Seelenreise erleichtert und von daher als günstiges Zeichen zu werten ist. Na dann...“ sagte ich mir, also weiter wie gelernt, nach den Regeln der Entspannungstechnik...’ Behutsam und schön ordentlich der Reihe nach lockerte ich eine Muskelgruppe um die andere, führte sodann die Sinne auf die Wahrnehmung jener Geräusche, die den EFFerd- gefälligen Elementen entstammen, zurück und begann schließlich, Geist und Seele von derenschweren Einflüssen zu lösen... erfolgreich, denn jene Gedankenflucht, die den Beginn der Entrückung kennzeichnet, stellte sich alsbald ein... Und da“ , unterbrach sich die Geweihte, „naht maître Ocuse Tiramousso und will uns über den weiteren Ablauf dieses legendären Festessens informieren.“


VI

[ Nach Oben ]

„Nach dem schweren Hauptgang empfiehlt es sich, dem Magen eine Ruhepause zu gönnen und mit leichter Speise zu schonen. Ich empfehle daher zum einen unseren hausgebrannten Kräuter- Reisschnaps und als sogenannte relève Grünfroschschenkel aus eigener Schlachtung - am Tisch sautiert auf erhitzter Steinplatte.“ Eine solche wird auf einem metallenen Untersatz hereingerollt. Weil nicht EFFerd- koscher, muß bei der Bewirtung der Geweihten des Launischen auf offenes Feuer verzichtet werden. Damit entfällt natürlich das Flambieren vor den Augen des Gastes - ansonsten eine beliebte Übung im „Dreckspatz“ - und mithin auch der durch jenen Vorgang erzeugte visuelle Reiz. Dessen Stelle nimmt nun der glühende Stein ein. Wenn auch die EFFerd- Geweihte sich beim Anblick des INGerimm- gefälligen Objekts nicht so recht wohl in ihrer Haut fühlt, so bildet das Spektakel ansonsten den Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.

Maître Tiramusso zelebriert die Prozedur mit dem sinnenfrohen Pathos eines RAHja- Priesters. Die Gäste aus dem Speisesaal haben jegliche Zurückhaltung aufgegeben, drängen sich vor dem „grünen Zimmer“ im Türrahmen und verfolgen mit allerlei Aahs!’ und ! Oohs!’ , wie ein bleicher Froschschenkel um den anderen zischend auf die düster- rot glühende Platte trifft, ein einziges Mal mit Hilfe zweier fingerartig geführter Holzstäbchen flink und geschickt gewendet wird und sogleich in nunmehr zart gebräuntem Zustand auf dem Teller landet. „Besondere Sorgfalt verwenden wir darauf, nur ja keinen Funkenflug entstehen zu lassen.“ erklärt der maître der EFFerd- Priesterin, die sachverständig nickt. Die Autorin ihrerseits wirft sämtliche guten Fasten- Absichten über Bord, was ihr einen spöttischen Blick der beleibten Efferdiane einbringt und dazu veranlaßt, Letztere ein wenig unwirsch zum Fortfahren zu ermuntern.

„Gerne.“ erwidert gutmütig die Geweihte. „Wo war ich stehengeblieben? Richtig – bei der Meditation... Während die Entspannungsübung nach und nach in den erstrebten Entrückungszustand überging, segelte die Adaque IV’ zielstrebig Richtung Nardis. Das Praiosauge war hinter dem Horizont versunken und ein halbes Madamal erhellte den Himmel. Am Rande des Bewußtseins nahm ich wahr, daß aus wechselnden Richtungen ein böig auffrischender Wind blies und hörte, wie Entore - wohl auf nächtlichem Rundgang - ein Gespräch mit der Steuerfrau führte: Nach dem überraschenden Kippen der Wetterlage sei nunmehr das Auftreten eines Rondrians nicht auszuschließen.

Wenn ich auch zur Sinneswahrnehmung in eingeschränktem Maße befähigt blieb, so hatte doch meine Seele die Derenschwere bereits überwunden und die angestammte Sphäre hinter sich gelassen. Die Gunst des Launischen wies mir den Weg in eine türkisfarben schimmernde Unendlichkeit und ließ mich teilhaben an der Schönheit der Meereswelten. Das vertraute Rauschen der Brandung schwoll zur sakrosankten Symphonie, leuchtend durchdrangen des Wassers Strömungen allen bekannten und unbekannten Farben des Regenbogens. Ich weilte an der Schwelle zum Allerheiligsten. Bald würde mir profunder Einblick in die ewigen Geheimnisse der Schöpfung gewährt werden. Von innen heraus glitzterten und gleißten Strudel, Wellen und Fontänen; das nasse Element gebahr – ein seltsamer Anblick! - prächtige Schwärme feuriger Funken. Unmittelbar bevor stand nun, das wußte ich, die Entbergung des Willens der Gottheit. Ein Gefühl überschäumender Freude packte mich wie eine riesige Faust, das Herz klopfte mir freudig erregt bis zum Halse, ein explosiver Begeisterungstaumel wischte sämtliche Grenzen hinweg: Licht- und Gehörsinn verschmolzen, es mengte sich Feuer mit Wasser, eins wurde die Gottheit mit der Welt, eins ich für alle Zeiten mit der Schöpfung, in einem größeren Sinnzusammenhang weit jenseits armseligen menschlichen Vernunftdenkens.

Alles floß gewaltig wogend ineinander, mächtige Fluten vereinten sich mit Gebrause zu einer neuen, endgültigen, der Welten Widersprüche aufhebenden Ordnung... So zumindest wollte ich das sehen - ungeachtet nagender Bedenken, die ich nicht gänzlich zum Schweigen zu bringen, sondern lediglich in einen der hinteren Winkel meines Gehirn zu verbannen vermochte. Vollkommenheit – mit Verlaub, werdet Ihr nun sagen, Wohlgeboren, das weiß ja eigentlich schon der kleinste Bosporanoschüler - ist uns hienieden nicht beschieden. Bevor LOS auf SUMU traf... ja, da standen Wege ohne Zahl offen. Der Kataklysmus aber führte zur Kontamination mit Materie und damit zur Zählbarkeit der möglichen Entwicklungen und diese wiederum auf wenige Alternativen zurück. Vor dem Urkonflikt nummerierte niemand die Tage des stofflichen Seins, das schwer und immer gleich sich selbst genügte. Doch in die Ewigkeit des spatiotemporalen Kontinuums drang der schöpfende Geist und zerriß die in sich ruhende Welteneinheit. Mit Wirrnis füllen deren Bruchstücke heute Zeit und Raum.“ Die Augen der Geweihten blitzen. Die angenehme Alt- Stimme füllt – ohne laut zu werden - volltönend das grüne Zimmer. Die beiden Jungen stehen reglos in einer Ecke und wenden den Blick nicht von der Priesterin des Launischen. „Den primordialen Zustand ursprünglicher Perfektion beendete der Kataklysmus. Das müssen wir akzeptieren. Als Lug und Trug erweist sich früher oder später jede Darstellung, die diese einfache Tatsache außer Acht läßt. Die Kraft, die gefälschte Visionen von Vollkommenheit auf uns ausüben, speist sich aus nichts als dem Unwillen, die Realität des Hier und Jetzt zur Kenntnis zu nehmen. Notwendigerweise birgt allzu große Pracht und Herrlichkeit in sich den Keim des Untergangs.“

„Die Zwölfe mit uns.“ erklärt die Autorin, wider Willen beeindruckt.

Efferdiane grinst schuldbewußt. „Verzeiht, Wohlgeboren. Lediglich Zitate aus dem EFFerd- gefälligen Standard- Kommentar zum Brevier der zwölfgöttlichen Unterweisung’ . Mit diesem Büchlein pflegt man die Graulinge im ersten Lehrjahr zu traktieren. Nun - nicht ganz umsonst offensichtlich, vermittelte mir doch die Erinnerung an den frommen Unterricht eine Vorahnung dessen, was geschehen würde - obschon ich nach Kräften versuchte, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.

Das ganzheitliche Wallen und Wogen, das mich mit einem Hochgefühl ohnegleichen beglückt hatte, verflachte nämlich... zunächst kaum merklich, dann aber immer eindeutiger und kam schließlich zum Erliegen - so als habe sich die Urkraft, die die Welten in Bewegung hielt, nunmehr erschöpft. Das vermeintliche Bild der Perfektion erwies sich durchaus vergängliches Produkt aus Schall und Rauch. Die leuchtenden Farben ließ ein rascher Alterungsprozeß zu grauer Schattierung verblassen. Monotones Knistern und Limbus- Rauschen überlagerte die pompöse Sphärenharmonie. Die ersterbende Welt erstickte Hoffnung im Keim. Jeglicher Widerstand ist zwecklos...’ Dieser Gedanke erfüllte mich wie der eiskalte Hauch des Todes und ließ mich in Erstarrung verfallen. Die Zeit war zum Stillstand gekommen, Satinavs Macht beendet. Die unendlichen Weiten des Raumes kollabierten lautlos zu einem dimensionslosen Punkt. Niederhöllischer Gestank fuhr aus dem Nichts hervor... Lichtlosen Abgründen entwich mit urtümlicher Gewalt eine Woge ekler Übelkeit.

Luft! Bei den versammelten Alveraniern! Oh Launischer, erhöre Deine treue Dienerin! Zu Hilf’, Ihr Zwölfe! ... wollte ich in die gottverlassene Leere hinausrufen, doch blieben mir die Worte im Halse stecken, denn ein einzelnes, riesiges, blutrotes Auge starrte aus Nebelwallen heraus unverwandt... auf mich, die ich leichtsinnigerweise die mir gesetzten Grenzen überschritten hatte, um frevelhaft vorzudringen in verbotene Einöden, die Göttern und Dämonen vorbehalten sind. Den Atem verschlug mir das fleischgewordene Symbol der Mißgunst, den panischen Aufschrei in meinem Munde knebelte dieses rasch wachsende, mittlerweile mein gesamtes Gesichtsfeld nahezu ausfüllende, blutunterlaufene Auge, das das Blut in den Adern zum Gerinnen brachte, Herz, Lunge und Gedärm beiläufig zur Kenntnis nahm, um dann die entlegensten Winkel des Gehirns akribisch zu durchmustern, auf der Suche nach uneingestandenen Fehlern, unbefriedigten Gelüsten und unaussprechlichen Geheimnissen.

Von schwärzester Verzweiflung erfüllt, beschwor ich die Vision der Heiligen Elida von Salza: „Zeige mir den sich’ren Pfad, oh milde Mutter!“ rief ich – stumm, denn Angst drückte mir die Kehle zu, unerbittlich wie die Krake, die ihr Opfer mit vielen Armen umschlingt. „ ,Weise mir den Weg über den Abgrund! Durch brodelnde Wasser laß mich wandeln auf sich’rem Pfad! Sankt Elida, hilf! Luft!’ Ein zähes Ringen folgte, ein harter Kampf um jeden Atemzug, um Bewußtsein und Verstand, eine verbissen geführte Schlacht um die Unversehrtheit des unstet flackernden Fünkchens, das wir leichthin als unsterbliche Seele zu bezeichnen pflegen. Unsterblich? Nicht, wenn es nach dem Willen der alten Meeresdämonin geht, nach dem Willen der kalten Ersäuferin, die erneut aus den Tiefen aufgestiegen war, um die zwölfgöttliche Schöpfung zu schänden. Was konnte ich – ein kleiner, schwacher Mensch - im Kampf gegen eine solche Gegnerin schon ausrichten? Angesichts der erdrückenden Übermacht der Erzdämonin blieb nur kampflose Kapitulation und Unterwerfung unter denn Willen der Siebtsphärigen.“


VII

[ Nach Oben ]

„Wenn die hohen Damen gestatten...“ Aus einsamen Gefilden lichtloser Finsternis entronnen, vorgestoßen zu des Bewußtseins Oberfläche, findet sich die Autorin erleichtert aufatmend im Séparé des „Dreckspatz“ . Aus dem großen Speisesaal dringt beruhigend das Geräusch lebhafter und unbeschwerter Unterhaltung. Maître Tiramousso kündigt gerade den nächsten Gang an.

„Nun, da die relève dem Verdauungsvorgang die notwendige Muße eingeräumt hat und die körperlichen Säfte wieder munter fließen, erlaube ich mir, eine weitere, stadtbekannte Spezialität aus meiner Küche zu präsentieren, gewissermaßen die beiden Elemente der Erde und des Wassers auf Inniglichste verbindend: zartes Halbjahres- Caïman aus den Sümpfen des marassou, gefüllt mit Wolfsratten- Happen an edelbitterer Kakaosauce. Dazu servieren wir erntefrische Süßmaisschoten und prickelnden Reismost.“

Reismost? Süßmais... ? Die Autorin vernimmt die Worte, ohne den Sinn vollständig zu erfassen, denn die Gedanken verharren kreisend über der trostlosen Schlammwüste des Meeresgrundes. Es will nicht so recht gelingen, aus dem Banne des roten Auges die geschundenen Empfindungen zu lösen. Die Erzählerin hingegen spricht unbeeindruckt der neuesten Köstlichkeit zu - ohne deswegen den Bericht zu unterbrechen. „Und da, als alles verloren schien, stellt sich plötzlich ein Gedanke ein: Wenn es mir ohnehin nicht bestimmt war, der Seelenmühle und der ewigen Verderbnis zu entrinnen, wenn ich schon nichts zu verlieren hatte... warum dann nicht wenigstens einen letzten, ehrenhaften Kampf wagen? Ich erkannte, daß – gleich der zuvor erblickten, verführerischen Vision der Vollkommenheit - auch diese pechschwarze Welt aus nichts als dünnem Lügengespinst gewebt war oder, besser gesagt: aus eben jener Verzweiflung, in die mich die Ersäuferin gestürzt hatte... Die tote Welt, die mich scheinbar lückenlos umgab, entpuppte sich als geschickt eingefädeltes Täuschungsmanöver, das mir den Mut aus den Knochen saugen und eine ausweglose Situation suggerieren sollte.

Denn so prekär meine Lage auch war – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. So blieb mir die Waffe der Tugend, die ja die von mir angerufene Schutzpatronin zeitlebens niemals aus der Hand gelegt hatte: Unbeirrbar pflegte Elida von Salza ihren Weg zu gehen, von Hafen zu Hafen, von Bucht zu Bucht, von einer Küste zur nächsten... und schließlich bis an die Stelle, an der das Kap die Meere trennt. Immerfort stand die Heilige vor der Wahl, sich – der eigenen Bequemlichkeit folgend - an Ort und Stelle niederzulassen oder dem Ruf der Pflicht zu gehorchen und weiterzufahren – bis an jenen vom Schicksal vorherbestimmten Ort: Brabak. Der Stimme der dämonischen Zweifler schenkte die Heilige kein Gehör...

Ein wenig von dem erfrischenden Reismost, Kinder. Vom Erzählen ist mir die Kehle ausgedörrt.“ Die beiden Jungen zucken zusammen, schütteln sich wie Schläfer, die unvermittelt aus Träumen gerissen werden und eilen dann mit hochroten Köpfen beide gleichzeitig herbei, um den Wunsch der Geweihten zu erfüllen. Kein Wunder, denkt die Autorin, daß Efferdianes Predigt eine Gemeinde zu fesseln vermag. „Dies hehre Beispiel zu beherzigen, ist jedem von uns gestattet. Zwar wurden wir durch den Kataklysmus der Unendlichkeit beraubt, doch ergibt die Gleichung des aus Materie und Geist geformten Lebens nicht Null. Geblieben ist uns die Fähigkeit zur freien Entscheidung. Immerfort nämlich treffen wir eine Wahl – zwischen Stillstand und Bewegung, zwischen Tod und Leben, zwischen Gut und Böse...

Und so ertönte er schließlich aus großer Ferne, der sehnlichst erwartete Ruf der Gottheit. Von der Heiligen vermittelt, querte er als kaum wahrnehmbares Glimmen tote Gewässer und den Moder ersterbender Wesen, zeichnete in den suizidalen Urschlamm eine zart leuchtende Spur und drang endlich als feiner Laut an meine Ohren, die aus ihrer Taubheit erwacht waren. Aufhorchend schöpfte ich neue Hoffnung, fand zurück zu mir selbst, teilte mit erstarkenden Armen blutige Strudel, durchstieß trübe Fluten... Da! Ein schwaches Licht, aber so schwach es auch schien, es zeugte von Leben, vermittelte Zuversicht und entzündete der Gottheit Flämmchen, das menschliche Herz wärmend und die Seele erhellend, kündend vom Sieg über der Finsternis Wesen - einem heiligen Gesang gleich, genährt aus mächtig geblähten Lungen, aus starker Kehle triumphierend gen Alveran steigend...

Göttergefällig hallte eine getragene Weise über das südliche Meer, unwiderstehlich wie der tosende Kauca und zugleich von Milde geprägt wie Beleman, der Fruchtbarkeit und Leben spendet. Hochaufgerichtet stand eine mächtige Gestalt mit weit ausgebreiteten Armen am Schiffsbug und trug voller Hingabe mit den zwölf Winden einen freundschaftlichen Sangeswettstreit aus. Um EFFerds ungebärdige Elemente der ordnenden Strenge der heiligen Kirche zu unterwerfen, warf besagte Gestalt die ganze Macht der Liturgie in die Wagschale: Inbrünstig und betörend erscholl das Weihelied der heiligen Elida im Schein des halben Madamals, das tröstlich zwischen den Wolken hervorlugte. Ja - ich sah mich selbst wie aus großer Entfernung: Die körperliche Hülle hatte mein Geist weit hinter sich gelassen und schwebte, dem Albatross gleich, hoch über den Weltenmeeren: Zugleich aber stand ich...“ Die Geweihte warf der Autorin einen vorsichtigen Blick zu und errötete, „bar jeder Bekleidung, gehüllt in ursprüngliche Nacktheit, am Bug der Adaque IV’ , die zielsicher die Wellen durchschnitt... Ich, die ich mich nun wahrhaft eine Gefährtin von Wind und Wogen nennen durfte.“


VIII

[ Nach Oben ]

„Als transzendentales Erlebnis sui generis beliebte der Barde Bor di Lano unsere Dschungel- Valpoqua’ unlängst zu würdigen.“ Maître Tiramousso warf sich in die Brust. „Wenn die hohen Damen dazu von diesem aus reifen, handverlesenen Bitterarangen hergestellten Liqueur goutieren wollen...“ Die Augen der Geweihten leuchteten und gleich beim ersten Löffel der zartcremigen Speise fühlte sich die Autorin, als sei sie ohne den Umweg über das lästige Ableben in eines der zwölfgöttlichen Paradiese eingegangen.

„Mit funkelndem Glanz überzog den Derenrund das halbe Madamal, das sein Ebenbild in die spiegelglatte Wasseroberfläche zauberte. Es schimmerten die Segel, es glitzerte der Rumpf der Adaque IV’ und vor allem gleißte, verheißungsvoll wie ein Feenauge, im Schoß des Meeres ein silberheller Punkt... Das Zeichen! dachte ich benommen. Meine Lippen hatten den Gesang wohl beendet , aber weiter und weiter klang in meinem Kopf die göttliche Weise, während ich beide Arme streckte, einmal auf den Zehenspitzen wippte und dann kopfüber und elegant wie ein Efferdstümmler geräuschlos in die Fluten eintauchte. Das Wasser empfing mich als Liebhaber, umspielte schmeichelnd meinen Leib, während ich tief und tiefer hinabglitt – eins mit dem Element, geschmeidig wie eine Robbe... nein, wie ein Wal... nein, wie Efferdiane Truckenbrodt. Rückhaltslos ergab ich mich den feinfühligen Berührungen der Ströme und strebte dem verlockend glänzenden Auge entgegen. Voller Dankbarkeit spürte ich Entores väterlichen Geist, der mich begleitete, der - bereit, alle Gefahren abzuwenden - wie ein Schutzengel getreulich an meiner Seite schwamm, meine Lungen mit frischer Atemluft weitete und mir neue Kräfte zufließen ließ, wenn ich zu ermüden drohte. Und dann... ja, dann blieb er unversehens zurück, Entores Geist: Meiner zielstrebig grundwärts führenden Bahn vermochte er nicht mehr zu folgen. Ich wußte, daß ich aus seinem Blickfeld verschwand... verloren gegangen war in blauschwarzen Abgründen, in denen unsägliche Räuber hausen - ewiglich lauernd, begierig darauf, sich eines lebenden Wesens aus Fleisch und Blut zu bemächtigen und die heimatlose Seele der kalten Ersäuferin opfernd darzubringen...

Der Wind hetzte dicke Wolkenbänke über den Nachthimmel und entzog das Madamal dem Blick Deres. Die Adaque IV’ schlingerte und torkelte durch den Ozean, der sich zunehmend rau gebärdete. Es regnete nicht. Noch nicht. Wie eine gewaltige Brust hob und senkte sich der Meeresspiegel: Der mächtig wogende Ozean stand im Begriff, sich zur wütend aufgepeitschten See zu wandeln. Zornige Böen zerrten zeternd an den Segeln - die man hastig einholte - und trieben das zerbrechliche Gefährt hinaus in das offene Meer. Weit und breit kein Land in Sicht. Ein turmhoher Wellenberg um den anderen jagte der Adaque IV’ entgegen. Einzig und allein auf Zerstörung und Untergang schien das Tun der Elemente ausgerichtet.

Was jedoch irgendwo da oben – an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft - geschah, das betraf mich nicht mehr. Der Rondrian, der jetzt mit langgezogenem Donnergrollen, fahl zuckenden Blitzen und sintflutartigem Regen losbrach, der tobte in einer anderen Welt, die ich überwunden zu haben glaubte. Dem Unbill der Witterung entzogen, war ich mittlerweile am ewig stillen Grund angelangt, angelangt beim schillernden Auge, dessen Pracht mich blendete und meinen Leib in eine Aura von überderischer Schönheit hüllte... und meinen Geist betört hatte, ohne daß ich dessen gewahr geworden war. Zwar schrien inzwischen die Lungenflügel förmlich nach Luft und ein rasch schrumpfender Reif schnürte mir den Brustkorb zu. Doch stammten die körperlichen Signale aus eben jener Welt, die meine Aufmerksamkeit nicht verdiente... lag mir doch der endlose Meeresboden in seiner ganzen Vielfalt zu Füßen. Verehrungswürdig sah ich mich, als strahlende Quelle des großen Lichtes, wähnte mich einzigartig, erhaben gar über EFFerds Schöpfung: Gehorchten nicht die Ströme meinen Befehlen? Unterwarfen sich meiner Allmacht nicht des feuchten Elementes Wesen? Flossen in mir nicht die Himmelsrichtungen zusammen, zwang ich nicht oben und unten unter meinen ehernen Willen und bestimmte nach Gutdünken...“

Efferdiane lachte munter. „Ihr ahnt, Wohlgeboren, daß ich unfrommen Einflüsterungen erlag... Die gütige Hilfe der Heiligen Elida von Salza hatte es mir zuvor gestattet, den Abgrund lähmender Hoffnungslosigkeit zu überwinden: So war der Dämonenangriff gescheitert und die erste Runde für die unheiligen Wesenheiten verloren gegangen. Doch hatte die alte Schänderin der Weltenmeere ihr letztes Wort noch lange nicht gesprochen, war jedenfalls keinesfalls gewillt, sich das gleißende Artefakt, dessen ich mich nun zu bemächtigen anschickte, kampflos entreißen zu lassen.

Wer bei Sinnen ist, der erkennt, daß mich vom endgültigen Verderben lediglich ein winziger Schritt trennte. Doch war ich eben nicht bei Sinnen. Mitnichten erschien mir der gähnende Abgrund als Ende allen Seins, sondern vielmehr als Torbogen zu einer verlockenden Welt unbeschreiblicher Genüsse, finaler Wohllust und niemals nachlassender Extase. In den Hintergrund trat die Erinnerung an kirchliche Mahnungen. Streben nach Gerechtigkeit, strenge Lebensführung, frommes Vertrauen in die Gunst der Götter – welch hahnebüchender Unfug! Ich brauchte nur die Hand auszustrecken... und die Welt war mein... und nicht nur diese eine! Ich sah mich thronen, erhaben über Ordnung und Stillstand, über Dere und Feste, über Leben und Fruchtbarkeit, über Tod und Vergehen, über Alvarans Zitadelle, über Sterne und Kraft, über Chaos und Brodem. Die unsäglichen Siebtsphärigen vergingen vor dem Glanz meiner Herrlichkeit. Vor der Allmacht, die ich verkörperte, beugten die arroganten Zwölfe demütig das Knie. Nur ein Schritt noch! Die Macht der Erzdämonin hatte ich bereits gebrochen und das blutige Auge in ein strahlend helles Zeugnis meines Sieges verwandelt. Jetzt galt es, die lästige Bevormundung der Gottheiten abzuschütteln und mich des gleißenden Kleinods, das seit Äonen am Meeresboden meiner harrte, entschlossen zu bemächtigen. Lange genug hatte ich unter der Fuchtel der Zwölfe gestanden, jetzt winkte absolute Freiheit, der Augenblick war gekommen!

Geist, Wille und Seele verleugnend, packte gierig ich zu, spürte einen scharfes Brennen in der Handfläche... als plötzlich ein gurgelnder Schrei ertönte – und den uns Menschen gebührenden Maßstab mit einem Schlag wiederherstellte: Aufs Neue unterschied ich die Achsen des Raumes und fühlte Satinavs Macht. Ich nahm wahr, daß ich schlaff wie eine abgesoffene Katze am Meeresboden trieb, während oben, wenige Schritt unter der Wasseroberfläche, ein Mann einen aussichtlosen Kampf gegen das Ertrinken kämpfte. Die Zeit lief... unberbittlich wie eh und je. „Mann über Bord!“ erscholl jetzt auch – wie zur Bestätigung - die angsterfüllte Stimme der Steuerfrau... nicht mehr aus einer fremden, sondern aus meiner ureigenen Welt - mir nach göttlichem Ratschluß zur Heimat auserkoren. Wilde Strömungen zerrten eine ohnmächtig zappelnde Menschengestalt in die Tiefe. Ich sah, wie der Ertrinkende schluckte, spuckte, hustete, spürte, wie ihm ein Schwall Wasser die Lungen überschwemmte... Als ich ihn gleich darauf am Haarschopf packte, hatte er bereits die Besinnung verloren.“


IX

[ Nach Oben ]

„Kein Menu wäre vollständig ohne den Gaumenkitzel, den einzig und allein ein gelungenes Dessert zu vermitteln in der Lage ist.“ dozierte maître Ocuse Tiramousso. „Das Süßspeisen- Sortiment umfaßt: Kokospunschtorte, Brotfrucht in Mohascahonig und in Melisse kandierte Yamsmehl- Fladen.“ Angesichts der scheinbar unerschöpflich über sie hereinbrechenden Flut an Köstlichkeiten war die Autorin des eigenen Willens mittlerweile so gut wie verlustig gegangen und verleibte sich eine große Schnitte Kokospunschtorte ein, während Efferdiane, mit vollem Mund sprechend, folgendermaßen fortfuhr:

„Die Wolken hatten sich vom nächtlichen Himmel zurückgezogen. Eingeebnet waren die Wellenberge und die Sturmwinde abgeflaut. Unbeirrt zog die Adaque IV’ ihre Bahn. Entore Prisobimo aber lag reglos und bleich in der Kajüte. War ich zu spät gekommen? Erneut zogen sämtliche Fährnisse der Nacht an meinem geistigen Auge vorbei... Sollten etwa alle Mühen umsonst gewesen und der gute Kapitän, der stets liebevoll für mich gesorgt hatte, um meinetwillen aus dem Leben geschieden sein? Lieber Vater!’ rief ich unwillkürlich und sandte ein Stoßgebet gen Alveran. Bleibe bei mir, bleib bei Deiner Tochter, die Dich von ganzem Herzen liebt!’

Er atmet!’ rief da die Steuerfrau. Tatsächlich, wer genau hinschaute, der vermochte zu erkennen, daß der Brustkorb sich sacht hob und senkte. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich beugte mich über Entore... der just in diesem Augenblick versuchte, die Augen zu öffnen. Wenn der liebe Kerl auch nicht mehr als ein flüchtiges Blinzeln zuwege brachte, so fiel mir doch ein Stein vom Herzen. „Dem Launischen sei Dank!“ rief ich. Unbeschreibliche Erleichterung brach sich Bahn - zugegebenermaßen in Form eines wirren Wortergusses, der wie ein Gebirgswasserfall im Frühling aus mir hervorsprudelte. Ich fürchte, daß ich mit dem knapp dem Ertrinken Entronnenen ein wenig zu zanken begann: Jetzt verrate mir doch freundlicherweise: Was, bei den barmherzigen Göttern, hat Dich übergeschnappten Brabacuda bei einem solchen Sturm bloß ins Beiboot getrieben? Wolltest Du ein Mitternachts- Bad nehmen? Oder einen Schatz heben? Hat Dir eine Nixe kokett mit dem Schuppenschwanz zugewinkt? ... EFFerd, der Unergründliche, hat sich Deiner erbarmt, Du armer Tor... und einen Delphin geschickt. Auf dessen Rücken bist Du zum Beiboot gelangt... und da habe ich Dich zu fassen bekommen.’ Ein Blick ins Gesicht des Kapitäns zeigte mir dann allerdings, daß der Zeitpunkt für Erklärungen falsch gewählt war. Mein armer Entore, Du brauchst jetzt viel Ruhe.’ erklärte ich daraufhin unbeholfen und täschelte dem Kapitän aufmunternd die bleichen Wangen. In wenigen Stunden sind wir in Nardis. Bis dahin hast Du zu schlafen... Ich überlasse Dir jetzt die Kajüte. Wenn Du etwas brauchst, dann melde Dich. Ich bleibe in der Nähe.’“


X

[ Nach Oben ]

Bei der farbenfrohen Obstplatte, zusammengestellt aus duftenden Ananasscheiben, goldgelben Peraineäpfeln, gartenfrischen Bananen, reifen Datteln, dem weißem Fleisch der Kokosnuß sowie einer unübersehbaren Anzahl weiterer Sorten saftiger Früchte erzählte Efferdiane, wie sie eine Zeitlang ziellos auf Deck umhergewandert war. „Agismondo Ferussi und Ferianda Menarou, die beiden Delphinritter, die vor der Kajütentüre selig geschlafen und weder von dem Rondrian noch von den anderen Ereignissen der Nacht etwas mitbekommen hatten, plagte offensichtlich das schlechte Gewissen. Wie geschlagene Hunde schlichen sie mir mit hängenden Köpfen hinterher, bis ich sie entnervt fortscheuchte. Endlich allein, stützte ich die Ellenbogen auf die Reling und ließ den Blick in die Ferne wandern. Noch herrschte Nacht und vom rahjafrohen Morgengrauen war keine Spur zu sehen. Als ich ein Tau umfaßte, spürte ich im Handteller das dumpfe Brennen einer Verwundung. Überrascht inspizierte ich die schmerzende Stelle: Eine feuerrote Spur, an eine entzündete Schnittwunde gemahnend, zeichnete die Haut. Vague Erinnerungen der Art, wie sie einem halbvergessenen Traum entstammen, veranlaßten mich dazu, aus einer Falte meines Gewandes das vom Meeresgrund geklaubte Austerngehäuse zu fischen und die Schale mit Hilfe der Klinge eines Messers zu sprengen... Eine Perle legte ich frei, nicht mehr als daumennagelgroß, indes von unvergleichlichem Glanze.

So, als sei ich erneut in tobende Fluten getaucht, hielt ich die Luft an, vermochte den Blick nicht zu lösen von dem Kleinod, dessen Betrachtung bis zu dieser Nacht den Göttern allein vorbehalten geblieben war: Silbernes, Madamal- gleiches Licht umfloß mich. Ich erschrak, fürchtete, erneut überheblichen Gedanken Einlaß gewährt zu haben. In der Tat, vor meinem geistigen Auge erstand das Abbild des sündigen Abgrunds; dessen lockender Ruf erreichte mich jedoch nicht. Die Erinnerung an die Fährnisse der Tiefe – die stellte sich zwar ein, keine Überzeugungskraft entwickelten aber die Einflüsterungen der kalten Ersäuferin, die geschlagen in ihren Schlupfwinkel zurückgesunken war und mich nicht mehr über ihre wahren Absichten hinwegzutäuschen vermochte. Blaß blieb der Glanz falscher Versprechungen angesichts des milden Scheins der Efferdsperle, die den Weg durch dunkle Nacht tröstlich erleuchtete und Alveran ganz nahe erscheinen ließ. Demütig dankte ich dem Launischen, von dem ich - die ich mich doch als schwach, untreu und würdelos erkannt hatte - mit der Gabe des Meeres in überreichlichem Maße bedacht worden war.


XI

[ Nach Oben ]

Wohlbehalten sowie zeitgleich mit der Morgendämmerung traf die Adaque IV’ in Nardis ein und glitt auf ruhiger See gemächlich dem Hafenbecken entgegen.“ Zum Ausklang des Menus genossen Erzählerin und Autorin in kleinen Schlucken mit aromatischen Vanilleblüten versetzte Kokosmilch. „Ich vernahm das Rasseln der Ankerkette und sah, wie die Matrosen die Taue an den Pfosten des Kais festzurrten. Aus der Sicht derer, die am Hafen unserer Ankunft harrten, muß uns die Strahlung der aufgehenden Sonne den überderischen Schein von Göttergesandten verliehen haben. Doch selbst vor der blendenden Kraft des Praiosauges bestand der silberne Glanz der Efferdsperle, die ich nun an einem Stirnband befestigt trug. Göttliche Kraft und Herrlichkeit durchströmte mich, die ich mich in Einklang mit der gesamten Schöpfung wußte. Lauthals hätte ich jubilieren mögen. Besiegt das nächtliche Grauen, zurückgekehrt der helle Tag und – oh Freude! Den Zwölfen sei’s gedankt! – meine kleine untreue Seele vor ew’gem Verderben gerettet. Alverans Macht und Glanz erfüllte jede einzelne Faser meines Körpers mit einem gewaltig pulsenden und wogenden Hochgefühl.“ Lachend schüttelte Efferdiane den Kopf. „Nur unter allergrößter Anstrengung gelang es mir, der Umwelt einen ruhigen und beherrschten Eindruck zu vermitteln und mich nicht auf den Holzplanken des Schiffsdecks in krampfartiger Verzückung zu winden.


XII

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Dann betrat ich festes Land, empfangen vom Hafenmeister und Vertretern der Stadt Nardis. Efferdiane Truckenbrodt, Gefährtin von Wind und Wogen, allhier im Auftrag der heiligen Kirche der Launischen Gottheit.’ sagte ich mein Sprüchlein auf. „Die sind Agismondo Ferussi und Ferianda Menarou, vom EFFerd- gefälligen Orden der Delphinritter....Wie können wir helfen?’

Ich weiß,“ fährt die Geweihte fort, „ - und Ihr, Wohlgeboren, wißt es selbstverständlich auch - daß der Versuch, Euch an der Bedeutung meiner nächtlichen Vision teilhaben zu lassen, nicht nur als Anmaßung zu betrachten, sondern auch zum Scheitern verurteilt ist. Alverans Weisheit entzieht sich menschlichem Vernunftdenken, daher verzichte ich auf sinnlose Erläuterungen. Ich erlaube Euch hingegen, einen kurzen Blick auf die Perle des Launischen zu werfen. Möge deren Schimmer Euch einen schwachen Abglanz von der Herrlichkeit der Götter vermitteln.“ Das in die Stirne fallende Haar teilt Efferdiane und entbirgt ein geflochtenes Band, das das vom Meeresgrund freigegebene Kleinod trägt: ohne jeglichen Zweifel das schönste Schmuckstück, dessen die Autorin jemals gewahr geworden ist... indes sehr viel mehr als nur ein Schmuckstück: Von innen heraus erstrahlt die Efferdsperle und weckt in der Autorin unvermittelt den glühenden Wunsch, kopfüber in tosende Fluten zu stürzen, sich dem Ozean mit Haut und Haar zu überantworten und ohne Bedenken... Hinter dem blickdichten Vorhang, den ihre Locken bilden, verbirgt in diesem Augenblick die Geweihte hastig das Kleinod. Die Autorin spürt einen schmerzhaften Stich im Herzen, als sie des Anblicks des göttlichen Artefakts verlustig geht. „Ich denke, daß die mehr als flüchtige Betrachtung eine gewissenhafte geistliche Vorbereitung unter der Obhut der Heiligen Kirche des Launischen erfordert.“ sinniert Efferdiane, der die plötzliche Gefühlsaufwallung nicht entgangen ist. Die Autorin nickt wortlos zustimmend, zugleich erschüttert und gottergeben.

„Darf ich den Damen flankierend zum abschließenden Tee Ilmenblatt- Rauchware von Premium- Qualität anbieten?“ Maître Ocuse Tiramousso verneigt sich. „Ilmenblatt, in mäßigen Mengen am Ende einer gelungenen Mahlzeit genossen, beflügelt – so sagt man - den Geist und gibt den Blick frei auf Dinge, die menschlichen Verständnis normalerweise entzogen bleiben.“

Geweihte und die Autorin schauen sich an. Gelindes Entsetzen zeichnet beider Gesichtszüge und wie aus einem Munde erklingt die Antwort: „Nein, keinesfalls, verehrter maître – diesbezüglich ist unser Bedarf für heute reichlich gedeckt.“


ENDE

Morisca de Mysobfurten / sw